Moritz Stühler
Wallotstraße 35 II, JohannstadtHIER WOHNTE
MORITZ STÜHLER
JG. 1897
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
TOT 1. DEZ. 1944
Moritz Stühler wurde am 7. Mai 1897 als jüngstes Kind des jüdischen Kaufmanns Bernhard Stühler in Hammelburg (Unterfranken / Bayern) geboren. Moritz` Vater war Inhaber eines Manufaktur- und Schuhwarengeschäfts in zentraler Stadtlage. Seit dem 18. Jh. waren Vorfahren der jüdischen Familie in Hammelburg ansässig.
Moritz` Mutter hieß Bertha Sondhelm, sie stammte aus Kleinlangheim bei Kitzingen. Er hatte fünf ältere Geschwister, zwei Brüder und drei Schwestern. Die jüdische Familie war praktizierend religiös. Der Vater war 1898/99 Kultusvorstand der Jüdischen Gemeinde in Hammelburg; er war auch Mitglied des Stadtmagistrats.
Moritz besuchte die allg. Volksschule in Hammelburg; nach der 4. Klasse wechselte er auf das städtische Progymnasium. Ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges war er Absolvent der VI. Abschlussklasse. Er entschied sich für eine kaufmännische Lehre, die er sehr wahrscheinlich in seiner Heimatstadt absolvierte, da für die Jahre 1913 – 1915 keine Wegzugsdaten vorliegen.
Moritz war 17 Jahre alt, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Während die älteren Brüder in den Krieg zogen, führte Moritz zuhause mit dem Vater das Geschäft weiter. Nach Vollendung der Lehrzeit zog er am 1. Mai 1916 nach Bonn. Nur drei Monate später traf ihn die Einberufung: Am 1. August 1916 musste er in München zum „ungedienten Landsturm“ in Reserve antreten.
Nach Kriegsende 1918 kehrte der jüngste Sohn der Familie nicht mehr in seine Heimatstadt zurück. Er blieb in München wohnen, wo er Zeitzeuge des politischen Umsturzes wurde: die Ausrufung des „Freistaates Bayern“ durch Kurt Eisner am 8. Nov. 1918 und dessen Ermordung am 21. Februar 1919. Er erlebte die Wirren der Räterepublik München im April/Mai 1919 und deren gewaltsame Niederschlagung.
Schon zu dieser Zeit entstand in München eine stark antisemitische Bewegung. Moritz wohnte zu dieser Zeit in München-Schwabing und war Angestellter der Firma A. Schönfelder. Im August 1919 wagte er mit einem Geschäftspartner den Schritt in die Selbstständigkeit. Seine Firma nannte sich „Stühler und Welker“ und vertrieb Wasch- und Parkettbodenpflegemittel.
Aber die Zeiten waren schlecht, die Inflation stieg und stieg, die Kunden blieben aus. Nach sechs Monaten musste Moritz seine Firma wieder abmelden. In der Hoffnung auf bessere Zeiten gründete er im August 1920 eine neue Firma, die technische Produkte vertrieb. Aber auch dieser Neugründung war kein Glück beschert. In den Jahren der Hyperinflation 1922/23 wohnte der junge Kaufmann sehr oft da zur Untermiete, wo er gerade in Stellung war.
Sein privates Glück fand er in der Liebe seines Lebens: Am 23. September 1924 heiratete er in München die katholische, gebürtige Münchnerin Elisabeth Burkhardt; sie kam aus einfachem Hause, ihr Vater war Schriftsetzer, die Mutter war Etuimacherin und Hausfrau. Im Oktober 1924 zog das frisch vermählte Ehepaar nach Dresden, wo sich Moritz als selbstständiger Handelsvertreter etablierte.
Bis 1929 wohnten Elisabeth und Moritz Stühler in der Gerokstraße in Dresden, ab 1930 in der Wallotstraße. Am 1. Januar 1930 wurde Sohn Bernhard geboren. Er erhielt den Vornamen seines jüdischen Großvaters, der 1929 in Hammelburg gestorben war. Die Eltern entschieden, ihren Sohn im jüdischen Glauben zu erziehen. Moritz und sein Sohn Bernhard waren bis 1944/45 Mitglied der Jüdischen Gemeinde Dresden.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 veränderte das Leben der Familie radikal. Seit dem 1. April 1933 war Moritz vom Boykott der jüdischen Geschäfte betroffen. Er durfte mit „rein-arischen“ Geschäftspartnern und Kunden keinen Handel mehr treiben. Das Familieneinkommen brach ein. Sämtliche antijüdische Maßnahmen trafen Moritz` Ehefrau Elisabeth ebenso. Nach Erlass der Nürnberger Rassengesetze war sie fortgesetzt mit dem Vorwurf der „Rassenschande“ konfrontiert. Der sechsjährige Bernhard konnte 1936 nicht in die allg. Volksschule eingeschult werden. Die Jüdische Gemeinde Dresden organisierte für die betroffenen Kinder einen eigenen Elementarunterricht, der mit dem Pogrom im November 1938 endete. Die Pogromschläger zerstörten nicht nur die Semper-Synagoge, sondern auch sämtliche andere Gebäude und Einrichtungen der Jüdischen Gemeinde.
Im Stadtarchiv Hammelburg ist dokumentiert, dass Moritz Stühler schon zum 31. Dezember 1938, sieben Wochen nach dem Pogrom, in ein sog. „Judenhaus“ umziehen musste: in die Strehlener Straße 52. Die Privatwohnung in der Wallotstraße 35 musste geräumt werden. Ab 1. Januar 1939 war im Personalausweis der Beinamen „Israel“ eingetragen. Moritz konnte seinen Beruf nicht mehr ausüben und wurde zur Zwangsarbeit abgeordnet. Das Adressbruch Dresden des Jahres 1940 nennt die Strehlener Straße 52 noch als Wohnadresse des Moritz Stühler, ab 1941 wird er im Adressbuch überhaupt nicht mehr genannt. Das städtische Adressbuch war ab 1941 „judenfrei“ und nahm die „Endlösung“ voraus.
Moritz Stühler starb am 1. Dezember 1944 – nach fünfjähriger Zwangsarbeit und systematischer Mangelernährung, die zuletzt nur noch aus verschimmeltem Brot und verdorbenen Kartoffeln bestand - im „Judenhaus“ in der Zeughausstraße 1 an einem eitrigen Mandelabzess. Seine Frau Elisabeth und Sohn Bernhard mussten weiter im „Judenhaus“ wohnen. Sie erhielten am 13. Februar 1945 die Aufforderung zur Deportation. Am Abend desselben Tages begann das Bombardement über Dresden, das beide unversehrt überlebten. Elisabeth floh mit dem 14-jährigen Sohn nach Schweitenkirchen in den Landkreis Pfaffenhofen a. d. Ilm, wo Elisabeths Vater wohnte. Beide emigrierten 1947 nach San Francisco, Kalifornien (USA).
Quellen
Adressbücher Dresden der Jahre 1925 – 1930, https://adressbuecher.sachsendigital.de/
Sächsische Gedenkstätten, „Juden in Dresden“, https://www.stsg.de/cms/dresdner-juden
Stadtarchiv Bonn.
Stadtarchiv München.
Standesamt Hammelburg, Geburtsurkunde des Moritz Stühler, Nr. 30/1897.
Klemperer, Victor: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten, Tagebücher 1933 – 1945, Eine Auswahl. Spiegel-Edition 23, Berlin 2006/2007.
Sterbeurkunde Moritz Stühler, Nr. 5075/1944/1 Standesamt X Dresden.
Stöckner, Karl: Fundmaterialien von einstmaligen jüdischen Bürgern Hammelburgs. Stadtarchiv Hammelburg.
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