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Victor Klemperer Edler von Klemenau

Tiergartenstraße 66, Strehlen

HIER WOHNTE
DR. VICTOR KLEMPERER
EDLER V. KLEMENAU
JG. 1876
FLUCHT 1938
SÜDRHODESIEN



Weitere Stolpersteine in Tiergartenstraße 66:
Klemperer Edle von Klemenau, Sophie

Victor (1876–1943) war der älteste Sohn des Dresdner Bankiers Gustav von Klemperer Edler von Klemenau (1852–1926) und dessen Gemahlin Charlotte (1857–1934), geborene Engelmann. Er studierte an den Universitäten Halle/Saale, Berlin und Freiburg im Breisgau Rechtswissenschaften und promovierte 1898. Nach dem Militärdienst arbeitete er für die Dresdner Bank in Hamburg und fast zwei Jahre lang für eine New Yorker Bank in den USA. Als Privatsekretär von Isidor Loewe (1848–1910), dem Gründer der „Ludwig Loewe & Co. AG“ lebte und arbeitete Victor 1902 in Berlin. 1904 wechselte er erneut zur Dresdner Bank und war zunächst Privatsekretär beim Unternehmensgründer und Vorstandsvorsitzenden Eugen Gutmann (1840–1925) in Berlin.
Bereits während seiner Studienzeit in Berlin begann Victor qualitätsvolle Bücher zu erwerben. Vor allem die prachtvoll gebundenen Erstausgaben des 18. Jahrhunderts entfachten seine Leidenschaft. Bald folgten auch Inkunabeln, also bis 1500 mit beweglichen Lettern gedruckte Einblattdrucke und Bücher, die sich meist in der Gestaltung an mittelalterlichen Handschriften orientieren und bis heute ein besonders wertvolles Kulturgut darstellen. Victors umfangreiche Inkunabelsammlung gehörte zu den bedeutendsten in Europa. Mit sachkundiger Beratung durch den Nestor der deutschen Inkunabelforschung Konrad Haebler (1857–1946) gab Victor von Klemperer 1927 den Katalog: „Frühdrucke aus der Bücherei Victor von Klemperers“ heraus. Über seine Sammelleidenschaft schrieb er im Vorwort zu seinem Katalog: „Der Geist, der in meinem Elternhaus lebendig war, die vielseitigen Interessen, die in ihm gepflegt wurden und in einer unermüdlichen Sammeltätigkeit auf den verschiedensten Gebieten der Kunst ihren Ausdruck fand, haben sicherlich dazu beigetragen, auch in mir schon früh eine ausgesprochene Neigung zum Sammeln seltener und schöner Bücher wachzurufen.“
1906 lernte er Sophie Reichenheim (1887–1976), Tochter des Berliner Textilunternehmers und Fabrikbesitzers Leopold Julius Reichenheim (1836–1905), kennen, die er 1907 heiratete. 1909 eröffnete die Dresdner Bank ihre Niederlassung in Leipzig, an deren Etablierung Victor wesentlich beteiligt war. So kamen zwei ihrer Kinder, Sophie Charlotte (1909–2004) und Peter Ralph (1910–2000), in Leipzig zur Welt. Auf Drängen des Vaters übernahm Victor 1914 nun die Leitung der Dresdner Bank in Dresden. Mit dem Bau der Dresdner Villa in der Tiergartenstraße 64, die sie 1914 beziehen konnten, schuf sich das Ehepaar einen neuen Lebensmittelpunkt. Zwei weitere Kinder erblickten das Licht der Welt: Gustav Victor (1915–1997) und Dorothea Elisabeth (1918–1977).
Nur unterbrochen vom Militärdienst von 1914 bis 1918 leitete Victor nun die Bank bis Mai 1934. Damit war er für alle den sächsischen und den mitteldeutschen Raum betreffenden Entscheidungen des Unternehmens zuständig. Er vertrat die Interessen der Bank in zahlreichen Aufsichtsräten sächsischer Industrie- und Handelsunternehmen. Zugleich war Victor auch Mitglied des Aufsichtsrats der „Baugesellschaft für die Residenzstadt Dresden AG“, dem er noch bis Juni 1938 angehörte. Der Grund für die Niederlegung dieses Amtes dürfte in der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 zu sehen sein.
Wie Gustav von Klemperer engagierte sich Victor über seine Mitgliedschaft hinaus bereits ab 1923 sowohl im Verwaltungsrat als auch im Vorstand der 1921 gegründeten „Gesellschaft von Förderern und Freunden der Technischen Hochschule Dresden e. V.“. Zunächst 1929 als stellvertretender, im darauffolgenden Geschäftsjahr zum regulären Schatzmeister der Gesellschaft bestellt, hatte er das Amt bis Ende 1932 inne. Für seine Verdienste wurde er 1930 zum Ehrensenator der Technischen Hochschule Dresden ernannt. Neun Jahre später – 1939 – beschlagnahmte die Geheime Staatspolizei die Ehrenkette bei einer Durchsuchung seiner Villa auf der Tiergartenstraße und übersandte diese anschließend an das Ministerium für Volksbildung, das die Kette schließlich dem Rektor der Technischen Hochschule, Wilhelm Jost (1887–1948), übergab. Jost hatte bereits im November 1938 den Leiter des Ministeriums für Volksbildung darüber unterrichtet, dass Victor von Klemperer – gemeinsam mit drei weiteren namentlich genannten Ehrensenatoren – aufgrund der „nichtarischen Abstammung“ diesen Titel nicht mehr führen dürfe. Über die Streichung der Würdenträger aus den Listen der Hochschulen entschied schließlich der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust (1883–1945). Besagtes Schreiben datiert auf den 8. November 1938 – einen Tag später brannten in der Reichspogromnacht die Synagogen, jüdisches Eigentum wurde zerstört und beschlagnahmt, Menschen in den Tod getrieben.
In der Villa seiner Eltern, Wiener Straße 25, lebte nach dem Tod Gustavs noch Victors Mutter Charlotte bis 1933. Sie starb 1934. Vieles von dem kostbaren Interieur nahmen Victor, Ralph Leopold und Herbert Otto nach 1933 in ihren Villen auf. Die kostbare Porzellansammlung des Vaters, für die Victor 1928 die Herausgabe eines prächtigen Sammlungskatalogs bewerkstelligt hatte, erbten seine drei Söhne gemeinsam. Aufbewahrt wurde sie in der Villa auf der Tiergartenstraße.
Der Druck auf Victor und seine Familie wurde immer größer: 1934 verlor er seine Positionen in den Aufsichtsräten, bis Ende 1935 erhielt er noch die vorgesehenen Bezüge, die jedoch zum 1. Juli 1936 willkürlich um 50 Prozent gekürzt und bis August 1938 gezahlt wurden. Dennoch fiel der Entschluss schwer, Deutschland zu verlassen. Im Mai 1937 war sein Bruder Ralph Leopold emigriert und hatte von günstigen Arbeitsmöglichkeiten in Margate, Provinz Natal, Südafrika berichtet. Im April 1938 verließ Victor, bereits 62 Jahre alt, mit seiner Frau Sophie Deutschland und fand zunächst ebenfalls Zuflucht in Südafrika. Nach einigen Schwierigkeiten erhielt die Familie schließlich eine Aufenthaltsgenehmigung für Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe, wo sie später in Bulawayo lebte.
Bei ihrer Flucht aus Deutschland im April 1938 musste Victors Familie ihr gesamtes Eigentum in Deutschland zurücklassen. Im November 1938 wurden seine bibliophile Sammlung sowie die Porzellansammlungen seines Vaters im Haus auf der Tiergartenstraße von der Geheimen Staatspolizei „sichergestellt“ und 1942 schließlich an die Staatlichen Sammlungen in Dresden übergeben. Zu diesem Zeitpunkt bestand Victors Sammlung aus 13 Handschriften, 549 Frühdrucken, 510 wertvollen Buchausgaben und aus weiterem Kunstbesitz wie Gemälden, Grafiken, Plastiken, Gobelins und Teppichen sowie kostbaren Möbeln. Mit der Porzellansammlung seines Vaters hatte er nach dessen Tod 926 Porzellanobjekte übernommen, die gleichfalls beschlagnahmt und schließlich im November 1942 „unentgeltlich“ an die Staatliche Porzellansammlung Dresden überwiesen wurde.
Victor von Klemperer starb am 13. März 1943 und wurde in Bulawayo, Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe, beerdigt.
Mit den Beständen der Sächsischen Landesbibliothek und den Kunstwerken der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden wurden auch die 1942 beschlagnahmten Sammlungen Victor und Gustav von Klemperers 1943 in verschiedene Bergungsdepots außerhalb von Dresden zum Schutz vor befürchteten Kriegseinwirkungen untergebracht. Nach Mai 1945 kehrten lediglich 21 Frühdrucke nach Dresden zurück, die der Beschlagnahme durch die sowjetische Trophäenkommission entgangen waren. Mit der Rückgabe von Bibliotheksbeständen aus der Sowjetunion 1958 kamen die mittelalterlichen Handschriften in die Sächsische Landesbibliothek zurück. Dort wurden sie mit den aus den Bergungsdepots zurückgeführten Inkunabeln und bibliophilen Drucken vereint und als Depositum verwahrt. 1991 restituierte die Sächsische Landesbibliothek 295 Werke an die Erben als ihr rechtmäßiges Eigentum. Die heute noch vermissten bibliophilen Schätze befinden sich in der Staatsbibliothek in Moskau.
Von der Porzellansammlung Gustav von Klemperers kehrte aus den Bergungsdepots nach 1945 nur noch etwa ein Drittel der ursprünglichen Sammlung nach Dresden zurück. 1991, 2010 und 2021 wurden die in der Dresdner Porzellansammlung identifizierten Klemperer-Porzellane an die rechtmäßigen Eigentümer, die Erben nach Gustav von Klemperer, zurückgegeben.

Im September 2022 ließen die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) im Anschluss an das Restitutionsforschungsprojekt „Rekonstruktion der Porzellansammlung des Dresdner Bankiers Gustav von Klemperer (1852-1926)“ die Stolpersteine für Familie Klemperer verlegen.

Quellen

Das von November 2019 bis August 2021 an der Porzellansammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden durchgeführte Forschungsprojekt „Die Rekonstruktion der Porzellansammlung des Dresdner Bankiers Gustav von Klemperer (1852-1926)“ dokumentierte seine Ergebnisse in digitaler Form. Auf einer separaten Webseite der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden werden alle Erkenntnisse zusammengeführt und mit vielfältigem Bildmaterial visualisiert: https://porzellansammlung.skd.museum/forschung/porzellansammlung-gustav-von-klemperer/.
Fünf Autorinnen und Autoren haben in wissenschaftlichen Aufsätzen zum Gelingen dieses Projektes beigetragen. In diesen Aufsätzen sind alle relevanten Quellen und Literaturhinweise angegeben und nachzuvollziehen. Außerdem sind diese Aufsätze in Deutsch und Englisch online publiziert: Graul, Andreas (2021): „Die Bankiers Gustav und Victor von Klemperer“, DOI: https://doi.org/10.11588/artdok.00007288 English: “The Bankers Gustav and Victor von Klemperer”, DOI: https://doi.org/10.11588/artdok.00007294
Howse, Michaela (2021): „Die Kunst der goldenen Reparatur: Eine persönliche Sicht darauf, was es bedeutet, in der Restitutions- und Gedenkkultur Gerechtigkeit zu üben“, DOI: https://doi.org/10.11588/artdok.00007295 English: „The Art of Golden Repair: A Personal View on the Unique Work of Justice in Restitution and Remembrance Culture“, D

Putzpate:
bereits vergeben

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